
Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Man setzt spezielle Kontaktlinsen ein, legt sich abends schlafen und wacht am nächsten Morgen mit klarer und scharfer Sicht wieder auf. Ist das einfach nur ein schöner Traum für die vielen kurzsichtigen Brillenträger in Deutschland? Priv. Doz. Toam Katz M.D., Facharzt für Augenheilkunde bei CARE Vision Germany erklärt, wie die Nachtlinsen funktionieren.
Was sind Nachtlinsen und was unterscheidet sie von normalen Kontaktlinsen?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Nachtlinsen oder auch
Orthokeratologielinsen werden, wie ihr Name bereits verrät, über Nacht, bzw. während
des Schlafens getragen. In dieser Ruhephase modellieren diese Linsen die
Hornhaut derart, dass eine scharfe Sicht am Tage ohne Sehhilfe möglich sein
kann. Das Verfahren wird zur temporären und reversiblen Korrektur von
Kurzsichtigkeit (Myopie) und Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) eingesetzt und
gilt besonders in den USA als beliebt. Dort wendet man die Speziallinsen
bereits seit mehr als 20 Jahren an. In Deutschland sind die Nachtlinsen noch
weitgehend unbekannt, obwohl sie auch hierzulande seit etwa 10 Jahren
zugelassen sind. Sie sind formstabil, hoch sauerstoffdurchlässig und etwas
größer im Durchmesser als Tageslinsen.“
Wie können Nachtlinsen das Sehen tagsüber verbessern?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Nachtlinsen können nur zur Korrektur
von Kurzsichtigkeit bis -5 Dioptrien und geringer Hornhautverkrümmung bis -1,5
Dioptrien eingesetzt werden. Bei einer Kurzsichtigkeit ist der Augapfel zu
lang, wodurch einfallendes Licht schon vor der Netzhaut gebündelt wird. Es
entsteht eine unscharfe Sicht in die Ferne. Eine Hornhautverkrümmung liegt vor,
wenn einfallende Lichtstrahlen aufgrund von Unebenheiten nicht in einem Punkt
auf der Netzhaut gebündelt werden können. Der Betroffene sieht als Folge
verschwommen. Orthokeratologielinsen (auch Ortho-K-Linsen oder Traumlinsen
genannt) üben während des Tragens einen leichten Druck auf die
Hornhautoberfläche aus, wodurch ihre Zellschicht verschoben wird. Die Hornhaut
wird also – einfach ausgedrückt – platter gemacht. Die Brechungsfehler durch
Kurzsichtigkeit oder Hornhautverkrümmung werden dadurch am Morgen nach der
Tragezeit der Linsen korrigiert.“
Wie lange müssen Nachtlinsen getragen werden?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Die Nachtlinsen sollten jede Nacht
mindestens sechs Stunden getragen werden, um die Hornhaut nachhaltig
modellieren zu können. Eine Tragedauer von acht Stunden sollte dabei aus
augengesundheitlichen Gründen allerdings auf keinen Fall überschritten werden.
Durch die geschlossenen Augenlider während des Schlafens reduziert sich die
lebenswichtige Sauerstoffversorgung der Hornhaut. Dies wird durch die
Speziallinsen – selbst wenn sie hoch sauerstoffdurchlässig sind – noch
verstärkt. Ernsthafte Schädigungen der Hornhaut wie eine verminderte Sehschärfe
durch Aufquellung oder eine Epithelablösung können die Folge sein.
Orthokeratologielinsen haben bei korrekter Pflege in der Regel eine Lebensdauer
von etwa einem Jahr, danach sollten sie ersetzt werden.“
Wie lange hält der Formungseffekt von Nachtlinsen an?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Die Langzeitwirkung des scharfen Sehens
nach dem morgendlichen Entfernen der Linsen ist sicherlich als kritischer Punkt
dieser Korrekturmethode einzustufen. Hersteller sprechen von einer
Langzeitwirkung von bis zu 16 Stunden am Tag. Sicher vorhersagbar ist das aber
nicht und von Patient zu Patient individuell unterschiedlich. Es kann
vorkommen, dass sich die Hornhaut schon zum Abend hin wieder so weit in ihre
ursprüngliche Form zurückbewegt hat, dass eine verminderte Sehschärfe eintritt.
Dies kann besonders beim Autofahren oder in der Dunkelheit gefährlich werden.
Träger der Nachtlinsen sollten also in jedem Fall immer eine Ersatzbrille mit
sich führen. Denn sicher ist: Die Hornhaut wird sich früher oder später in
jedem Fall wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück verformen.“
Für welche Fehlsichtigkeiten sind Nachtlinsen geeignet?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Der Kreis der Patienten, für die sich
diese Linsen eignen, ist begrenzt. Nur bei Menschen mit einer Kurzsichtigkeit
von bis zu -5 Dioptrien und bei einer leichten bis mittleren
Hornhautverkrümmung bis -1,5 Dioptrien kann eine Sehverbesserung erreicht
werden. Auf gar keinen Fall dürfen Nachtlinsen bei einem Keratokonus, einer
kegelförmigen Vorwölbung der Hornhaut, angewendet werden. Zudem können sie
andere Fehlsichtigkeiten wie Alterssichtigkeit (Presbyopie), Weitsichtigkeit
(Hyperopie) sowie stärkere Kurzsichtigkeit und Hornhautverkrümmungen nicht
korrigieren. Sie helfen also nicht allen fehlsichtigen Patienten, sondern nur
einem eingeschränkten Kreis.“
Sind Nachtlinsen für Kinder und Jugendliche geeignet?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Grundsätzlich können die Ortho-K-Linsen auch von Kindern und Jugendlichen angewandt werden, sofern diese in der Lage sind, das Einsetzen, Herausnehmen und Pflegen der Kontaktlinsen selbstständig und gewissenhaft zu erledigen. Es gibt Hinweise darauf, dass das Tragen der Nachtlinsen das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit sogar verlangsamen können. Dennoch müssen die Erziehungsberechtigten gemeinsam mit ihren Kindern abwägen, ob bereits der Zeitpunkt für das Tragen von Kontaktlinsen gekommen ist – denn gerade der so notwendige Hygienefaktor ist beim Tragen von Kontaktlinsen insgesamt nicht zu unterschätzen.
Wer passt die Nachtlinsen an und kontrolliert diese?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Wer über eine solche Korrektur seiner
Kurzsichtigkeit und / oder Hornhautverkrümmung nachdenkt, sollte sich zunächst
umfassend augenärztlich untersuchen und beraten lassen. Die Augen müssen
einwandfrei gesund sein und eine Topographie der Hornhaut ist unerlässlich.
Diese intensivere augenärztliche Betreuung sollten Träger von Nachtlinsen
ohnehin regelmäßig wahrnehmen, um die Augen vor eventuellen Schäden zu
schützen. Die Linsen müssen von einem Spezialisten für Orthokeratologie individuell
angepasst werden. Bestellen Sie sie keinesfalls ohne Anpassung selbst im
Internet.
Was muss ich bei Nachtkontaktlinsen noch beachten?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: Auch für Nachtlinsen gelten die gleichen
Hygieneregeln wie für Tageslinsen. Das heißt, dass Sie sich vor jedem Einsetzen
und Entfernen der feinen Schalen gründlich die Hände waschen sollten.
Zusätzlich müssen die Linsen mit einer speziellen Flüssigkeit benetzt und
gereinigt werden. Nur so lassen sich schmerzhafte und gefährliche Infektionen
des Auges vermeiden. Wechseln Sie auch Ihren Linsenbehälter regelmäßig aus und
verwenden Sie die enthaltene Kombilösung bitte niemals über mehrere Tage
hinweg, sondern nur einmalig.“
Welche Kosten fallen für die Nachtlinsen an?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: Insgesamt ist für das Tragen von Nachtlinsen etwa mit einer jährlichen Kostenbelastung von 1.000 Euro zu rechnen. Je nach Anbieter können diese Kosten natürlich variieren. Bei den Nachtlinsen ist jedoch zu beachten, dass zu den reinen Kosten für die Linsen (etwa 600 Euro pro Jahr) noch Kosten für Pflegematerial aber vor allem auch noch die engmaschige Kontrolle durch einen Spezialisten für Orthokeratologie anfallen. Wie auch bei den Tageslinsen beteiligen sich die meisten gesetzlichen Krankenkassen nicht an diesen Gebühren.
Im Vergleich zu den einmaligen Kosten einer Augenlaserkorrektur , die bei etwa 1000 Euro pro Auge liegt, sind die finanziellen Aufwände für die Nachtlinsen sehr hoch.
Welche Vorteile haben Nachtlinsen?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: Wie auch bei Tageslinsen gibt es auch
bei Nachtlinsen konkrete Vor- und Nachteile. Sicherlich kann man diese Dinge
als vorteilhaft einstufen:
- Nachtlinsen sind relativ einfach anzuwenden und müssen lediglich abends in das Auge eingesetzt und morgens wieder entfernt werden.
- Sie sind sehr gut für Sportler geeignet, zum Beispiel für Schwimmer, die keine Kontaktlinsen oder Brillen verwenden können.
- Menschen mit trockenen und empfindlichen Augen vertragen die Nachtlinsen in der Regel besser als normale Tages-Kontaktlinsen.
- Die Anwendung über Nacht hinterlässt am Tag für den Verwender ein freies Gefühl ohne Sehhilfe.
Was sehen Sie als Nachteile der Nachtlinsen?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: Leider einige. Nicht ohne Grund haben
sich Nachtlinsen gegenüber Tageslinsen bis heute nicht durchsetzen können. Zusätzlich
zu den bekannten Nachteilen von Kontaktlinsen (wie etwa eine absolut korrekte
hygienische Handhabung zur Vermeidung schwerwiegender Infektionen) kommen
einige den Nachtlinsen spezifische Nachteile hinzu:
- Die Linsen müssen jede Nacht getragen werden.
- Sie können nicht allen Patienten helfen, da ihr Einsatz abhängig ist von der Art der Fehlsichtigkeit und der Dioptrien.
- Für die Gesundheit der Augen ist eine engmaschige augenärztliche Betreuung notwendig.
- Im Laufe des Tages wird die Sehfähigkeit langsam schlechter, da sich die Hornhaut wieder zurückformt. Spätabendliches Autofahren ohne weitere Sehhilfe sollte man daher vermeiden.
- Werden die Nachtlinsen abgesetzt, stellt sich die „alte“ Kurzsichtigkeit und / oder Hornhautverkrümmung wieder ein.
- Zu 100 Prozent zuverlässig ist die Sehverbesserung nicht. Eine Ersatzbrille ist daher trotzdem notwendig.
- Der Kostenfaktor: Die Linsen müssen jährlich ersetzt werden und es kommen durch die regelmäßigen Kontrollen noch weitere Kosten hinzu.“
Wie lautet Ihr Resümee zu Nachtlinsen?
Priv. Doz. Toam Katz M.D.: „Meines Erachtens überwiegen die Nachteile die Vorteile. Nachtlinsen können eine Alternative zu einer Brille oder herkömmlichen Tageslinsen sein. Meines Erachtens können sie aber keine dauerhafte Lösung bei Kurzsichtigkeit und / oder Hornhautverkrümmung bieten, da die Belastung für das Auge zu groß wird. Viele fehlsichtige Patienten wünschen sich auch, sich dauerhaft von jeder Art Sehhilfe zu befreien, weil die Abhängigkeit zu sehr einschränkt. Durch die teils unzuverlässige Stabilität der Sehschärfe tagsüber und das Erfordernis hoher hygienischer Ansprüche verlangen die Nachtlinsen nicht nur einen Vertrauensvorschuss in ihre Wirksamkeit von ihren Trägern, sondern auch ein Höchstmaß an Disziplin. Eine nachhaltigere und seit Jahrzenten erprobte Alternative ist sicherlich eine Sehschärfenkorrektur mittels Laser, zum Beispiel eine LASIK. Die Zuverlässigkeit der modernen Methoden und ihre erprobte und dokumentierte medizinische Sicherheit sind ein klarer Vorteil.“
Diese Hinweise ersetzen nicht den Besuch beim Augenarzt.
Vielen Dank für den Beitrag zum Thema Nachtlinsen. Mein Onkel überlegt Nachtlinsen zu tragen, um seine Sehschärfe im Schlaf zu verbessern. Gut zu wissen, dass Nachtlinsen auf gar keinen Fall getragen werden sollten, wenn ein Keratokonus besteht.
Mein Freund hat eine Verformung in den Augen. Es ist gut zu wissen das man bei einer Keratokonus keine Nachtlinsen verwenden darf. Ich werde ihm raten eine Behandlung für Keratokonus zu machen damit alles wieder gut wird.
Ich will meine erste Kontaktlinsen kaufen und will ein passendes Model finden. Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Nachtlinsen. Gut zu wissen, dass ich auch währen Schlaf meine Sehschärfe verbessern kann.