Ist Kurzsichtigkeit eine Epidemie der Neuzeit?

Ist Kurzsichtigkeit eine Epidemie der Neuzeit?

Eine aktuelle Studie der Universität New South Wales in Australien liefert eine besorgniserregende Prognose: Bis 2050 soll die halbe Menschheit unter Kurzsichtigkeit leiden! Dabei werden die Betroffenen immer jünger und nicht selten sind schon Kinder von dieser Sehschwäche betroffen. Woran kann das liegen?

Genetische Vorbelastungen können ebenso eine Rolle spielen wie unsere zunehmend digitalisierte Welt aus Smartphone, Tablet und Co. Alarmierend: Durch die zunehmende Kurzsichtigkeit steigt auch das Risiko für ernsthafte Augenerkrankungen wie der Makuladegeneration und dem grünen Star. Dr. med. Erik Wölfel, Facharzt für Augenheilkunde bei CARE Vision Germany erklärt, wie es zur Kurzsichtigkeit kommen kann und was effektiv gegen dieses Sehleiden hilft.

Was genau ist eigentlich Kurzsichtigkeit und wie äußert sie sich bei den Betroffenen?

Dr. Wölfel: „Die Kurzsichtigkeit (Myopie) ist eine Form der optischen Fehlsichtigkeit. Die Betroffenen haben Probleme damit, weiter entfernte Gegenstände scharf zu sehen. Sie sind auf eine korrigierende Sehhilfe oder einen refraktiv-chirurgischen Eingriff angewiesen, um in allen Entfernungen scharf zu sehen. Es gibt zwei Gründe für diese Sehschwäche: Entweder ist der Augapfel zu lang oder die Brechkraft von Augenlinse, Kammerwasser und Hornhaut ist zu stark. In beiden Fällen liegt der Brennpunkt, also der Ort des schärfsten Sehens, vor und nicht in der Netzhaut. Es entsteht eine unscharfe Abbildung, die auch so an das Gehirn weitergegeben wird. Viele Patienten, auch diejenigen mit einer schwächer ausgeprägten Kurzsichtigkeit, berichten mir, dass sie sich ganz ohne Brille oder Kontaktlinsen in gewissem Maße hilflos fühlen. Die Orientierung ist schwieriger, entfernte Dinge oder Geschehnisse werden teilweise überhaupt nicht wahrgenommen und die Umwelt erscheint verschwommen. Die Ausprägung der Kurzsichtigkeit wird in Dioptrien gemessen.“

Die australische Studie verweist darauf, dass unter anderem die zunehmende Digitalisierung durch Tablet, Smartphone und Co. ein Grund für die dramatisch ansteigende Anzahl der kurzsichtigen Menschen sein kann. Können Sie uns das genauer erklären?

Dr. Wölfel: „Es wurde schon länger vermutet, dass die seit Jahren ansteigenden Erkrankungen an Kurzsichtigkeit diverse Gründe haben könnten. Neben genetischen Faktoren spielen offenbar bestimmte Umwelteinflüsse und auch eine Veränderung unserer Lebensumstände eine entscheidende Rolle. Wir verbringen immer weniger Zeit draußen bei hellem Tageslicht, üben stattdessen verstärkt Aktivitäten direkt vor unserer Nase aus – also im sogenannten Nahsehmodus. Das Anschauen von digitalen Bildschirmen z.B. von Tablet oder Smartphone hat in den letzten Jahren rasant zugenommen. Überlegen Sie mal, wie oft Sie selbst tagtäglich auf Ihr Smartphone schauen, Texte lesen, SMS schreiben, usw. Das menschliche Auge kann mit diesem Fortschritt kaum mithalten. Wir alle werden mit einer leichten Weitsichtigkeit geboren. Unser Auge ist also etwas zu kurz und wir sehen in der Nähe unscharf. Unser Auge wächst im Kindes- und Jugendalter, bis der Augapfel die richtige Länge für das scharfe Sehen erreicht hat. Bei den meisten Menschen entsteht die Kurzsichtigkeit im Alter zwischen etwa 8 bis 15 Jahren. Durch ständiges Sehen im Nahbereich – z.B. durch das Schauen auf Smartphone oder Tablet – passt sich das Auge an diese Sehsituation an und der Augapfel wächst in die Länge, Kurzsichtigkeit entsteht. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass besonders Tageslicht ein wichtiger Faktor ist, der das Augenwachstum hemmen kann. Genau deshalb ist für Kinder auch der Aufenthalt im Freien, ganz ohne Smartphone, so wichtig. Die jungen Augen sollten täglich von der ständigen Naharbeit, die ja unter anderem auch die Schule verlangt, befreit werden und Entspannung durch Tageslicht erfahren.“

Was kann man denn tun, um die Entstehung einer Kurzsichtigkeit von vornherein zu verhindern? Oder ist eine bestehende Kurzsichtigkeit heilbar?

Dr. Wölfel: „Eine bestehende Kurzsichtigkeit ist in klassischem Sinne nicht heilbar. Sie kann nur korrigiert werden – mit einer Brille, Kontaktlinsen oder durch einen refraktiv-chirurgischen Eingriff. Vorbeugung ist durchaus möglich, wenn sie bereits im frühen Kindesalter beginnt. Solange sich der Augapfel noch im Wachstum befindet, lässt sich auch Einfluss nehmen. Verbringen Sie mit Ihrem Kind möglichst viel Zeit im Freien und ermöglichen Sie ihm nicht zu früh den Zugang zu Tablet, PC oder Smartphone. Auch augenärztliche Kontrolluntersuchungen sind schon im Kindesalter sinnvoll – am besten im jährlichen Rhythmus.“

Welche Augenerkrankungen können durch eine Kurzsichtigkeit ausgelöst werden? Kann man sich davor schützen – auch, wenn man bereits kurzsichtig ist?

Dr. Wölfel: „Eine sehr stark ausgeprägte Kurzsichtigkeit kann langfristig zu ernsthaften Augenerkrankungen wie der Makuladegeneration, dem grauen und grünen Star oder einer Netzhautablösung führen. Alle Erkrankungen können das Augenlicht bedrohen und schlimmstenfalls zur Erblindung führen. Daher sollten gerade stark kurzsichtige Menschen unbedingt regelmäßige Kontrolltermine bei ihrem Augenarzt wahrnehmen. Für alle diese Erkrankungen gilt, dass sie umso besser behandelt werden können, je früher sie erkannt werden.“

Angesichts der alarmierenden Studienergebnisse, liegt es nahe, die eigene Kurzsichtigkeit langfristig mithilfe eines refraktiv-chirurgischen Eingriffs zu korrigieren. Wie gut kann so ein Eingriff den Betroffenen helfen?

Dr. Wölfel: „Refraktiv-chirurgische Eingriffe wie die LASIK oder die LASEK können die Kurzsichtigkeit langfristig korrigieren, sodass auch keine Brille oder Kontaktlinsen mehr notwendig sind. Viele Betroffene entscheiden sich mittlerweile für eine Augenlaserkorrektur. Die Gründe sind vielfältig: Manche Patienten wollen einfach ohne Abhängigkeit von einer Sehhilfe leben, andere leiden unter einer Kontaktlinsenunverträglichkeit, wollen aber keine Brille tragen und wieder andere empfinden die dauerhafte finanzielle Belastung für neue Brillen oder Linsen als zu hoch. Eingriffe wie die LASIK werden mittlerweile seit Jahrzehnten angewendet und gelten als sehr sicher und gut erforscht. Die Komplikationsrate ist äußerst gering. Sehr starke Fehlsichtigkeiten, in der Regel über -10 Dioptrien, können nicht mittels Laser behandelt werden. Hier bietet die Implantation einer zusätzlichen Kunstlinse eine wirksame Alternative. Mithilfe des Eingriffs kann eine bestehende hohe Kurzsichtigkeit wirksam und dauerhaft korrigiert werden. Dennoch gilt: Auch nach einem refraktiv-chirurgischen Eingriff sollte eine regelmäßige augenärztliche Vorsorge erfolgen, um das Risiko für ernsthafte Augenerkrankungen zu minimieren.“

Die Hinweise ersetzen nicht den Besuch beim Augenarzt.

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